Sowohl die Ukraine als auch Russland bleiben trotz Putins Angriffskrieg wichtige Agrarexporteure. Auf dem Weltmarkt dürfte sich die Ukraine-Krise im kommenden Jahr aber bemerkbar machen.
In der Region rund ums Schwarze geht ein turbulentes Jahr zu Ende. Russlands Krieg gegen die Ukraine lenkte den Fokus auf die Gegend so stark wie nie zuvor. Analysten und Händler hatten in den ersten Kriegsmonaten vor katastrophalen Auswirkungen des Krieges gewarnt, denn auf Russland und die Ukraine entfallen jeweils 20 und 10 Prozent des weltweit gehandelten Weizens.
Die Bilanz des Jahres zeigt dennoch, dass die schlimmsten Prognosen sich nicht bewahrheitet haben. In der ersten Hälfte der Saison 2022/23, die im Juli begonnen hat, hat die Ukraine nach offiziellen Angaben des Kiewer Landwirtschaftsministeriums rund 19,5 Mio.t Getreide exportiert. Das sind etwa 30 Prozent oder 9,0 Mio.t weniger als im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres. Gleichwohl wirkt der Einbruch weniger dramatisch, vor dem Hintergrund, dass die Ukraine in der Saison davor nicht nur eine Top-Ernte eingefahren hatte. Auch das Exporttempo im Herbst 2021 war überdurchschnittlich hoch und erreichte in einzelnen Monaten bis zu 7,0 Mio.t. Die hohe Vergleichsbasis lässt den Einbruch in diesem Jahr tiefer erscheinen, als er ist.
Stattdessen haben ukrainische Landwirte es geschafft, nicht nur die Produktion, sondern auch die Ausfuhren am Laufen zu halten. Mehr als die Hälfte der exportierten Mengen, oder etwa 10,0 Mio.t Getreide verließen die Ukraine über die Schwarzmeer-Häfen, deren Weiterbetrieb im Rahmen des von den Vereinten Nationen und der Türkei verhandelten Export-Korridors möglich war. Die Wiederaufnahme der ukrainischen Exporte über den Seeweg war ein Schlüsselfaktor, um die Versorgungssituation zu stabilisieren.
Nicht weniger wichtig für die Stabilisierung der Situation war auch die massive russische Ernte und die zurückhaltende Sanktionspolitik des Westens im Agrarbereich. Nach jüngsten Angaben des Landwirtschaftsministeriums in Moskau dürfte sich die Weizen-Ernte nach Trocknung auf etwa 100 Mio.t summieren. Bislang erreichten die russischen Getreide-Ausfuhren in der ersten Saison-Hälfte des Wirtschaftsjahres 2022/23 rund 22,5 Mio.t. Vor genau einem Jahr lag der Wert bei etwa 21,4 Mio.t. Um die Jahreswende könnte der Wert etwa 24 Mio.t erreichen.
Dabei haben die Ausfuhren nach einem langsamen Start in die Saison in der zweiten Hälfte deutlich an Fahrt aufgenommen. Der russische Verband der Getreideexporteure führte den zögerlichen Beginn auf die Unsicherheit einiger internationaler Händler und Reeder zurück, die sich jedoch im Herbst verflüchtigte. Spätestens seit Oktober haben sich die russischen Getreideausfuhren zwischen vier und fünf Millionen im Monat eingependelt.
Dies führte dazu, dass sich die Preise auf dem Weltmarkt mittlerweile unter dem Niveau vom Ende des vergangenen Jahres eingependelt haben. Zumal Russland und die Ukraine zusammen noch etwa 45 bis 50 Mio. t Weizen, Gerste und Mais bis zum Ende der laufenden Saison exportieren könnten. Die optimistischen Prognosen sehen russische Lieferungen in der zweiten Hälfte bei 30 Mio.t. Allein bei den russischen Landwirten lagerten Anfang Dezember noch etwa 40 Mio.t, fast ein Drittel mehr, als vor genau einem Jahr.
Deutlich problematischer hingegen könnte für den Weltmarkt die kommende Saison 2023/24 werden. Spätestens dann dürften in der Ukraine die Vorräte der guten Ernte des vergangenen Jahres aufgebraucht sein. Die Aussichten für die Ernte 2023 sind dagegen überaus düster.
Schon die Winteraussaat in der Ukraine ist in diesem Herbst mehr als ein Drittel kleiner ausgefallen als in der Saison 2021/22. Nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums ist die Flächen beim Winterweizen von 6,5 auf 3,8 Mio. ha zurückgegangen. Zusammen mit der Sommerweizen-Fläche und der Mais-Aussaat im kommenden Jahr, wird die Ukraine bei der Getreideaussaat auf eine Fläche von etwa 8,7 Mio. ha kommen, ein Minus von 45 Prozent. Etwa ein Viertel der landwirtschaftlichen Flächen in der Ukraine befindet sich derzeit unter russischer Besatzung oder sind zu nah an der Frontlinie, um bestellt zu werden. Hinzu kommen Probleme bei der Beschaffung von Treibstoff, Düngemitteln und Ersatzteilen. Wegen der niedrigen Preise in der Ukraine rentiert sich die Aussaat zudem längst nicht in allen Gegeneden des Landes. Der ukrainische Branchenverband UCAB rechnet mit einer Ernte von nicht mehr als 34 Mio.t Getreide, ein Minus zum letzten Friedensjahr 2021 von fast 60 Prozent. Auch die Ausfuhren dürften merklich schrumpfen.
Vieles wird im kommenden Jahr von Russland abhängen. Das Areal der Winteraussaat erreicht in diesem Herbst lediglich 17,7 Mio. ha, gegenüber etwa 18,5 Mio. Ha im vergangenen Jahr. Gleichwohl melden Landwirte, dass die Felder sich in vielen Teilen des Landes vor der Winterpause in noch besserem Zustand befinden als im ohnehin guten Herbst 2021.
Dies spricht dafür, dass die Ernte im kommenden Jahr wieder einen guten Wert erreichen könnte. Zusammen mit den rekordverdächtigen Endbeständen, die von der Agrarberatung IKAR bei 25,5 Mio.t Getreide geschätzt werden, dürfte Russland einen Teil der ukrainischen Ausfälle, die durch den russischen Angriffskrieg erst bedingt sind, auf dem Weltmarkt ersetzen. (Quelle: agrarzeitung)