Für Kevin McCarthy sollte es der Moment werden, auf den der Republikaner jahrelang hingearbeitet hatte: Erst das Gebet, dann der Flaggeneid und anschließend seine Wahl zum Sprecher des Repräsentantenhauses, dem dritthöchsten politischen Amt in den Vereinigten Staaten. So war es die vergangenen neunundneunzig Jahre bei der Konstituierung eines neuen Kongresses abgelaufen, so sollte es auch am Dienstag geschehen.
Seine Sachen hatte McCarthy schon am Vortag in das Büro des Sprechers bringen lassen – wohlwissend, dass ihm der Posten keineswegs sicher ist. Doch als McCarthy dann am Mittag in den Bänken des Repräsentantenhauses saß, lächelte er. Mehr als vier Stunden später zog er immer noch die Mundwinkel hoch, als sein Name abermals für die Stimmabgabe aufgerufen wurde. Doch die historische Niederlage war ihm da schon ins Gesicht geschrieben.
Dreimal war McCarthy inzwischen damit gescheitert, die nötige Mehrheit von 218 Stimmen für das Sprecheramt auf sich zu vereinen. Dreimal hatte sein demokratischer Herausforderer trotz der Unterzahl der Demokraten im Repräsentantenhaus mehr Stimmen bekommen als er. Dreimal hatte sich McCarthys heftig kritisierter Versuch, am rechten und teilweise rechtsextremen Rand der Partei nach Stimmen zu fischen, offensichtlich nicht gelohnt.
In den ersten beiden Wahlgängen verweigerten McCarthy 19, im dritten sogar zwanzig Republikaner die Gefolgschaft. Wegen der knappen Mehrheit der Republikaner dürften es für einen Sieg nicht mehr als vier sein. Dass mehr als einmal abgestimmt werden muss, hat es zum letzten Mal vor hundert Jahren gegeben. Im Jahr 1923 bedurfte es neun Wahlgängen, um einen Sprecher zu bestimmen.
Dabei sollte der Dienstag eigentlich ein Festtag für die Republikaner werden. Nach den Kongresswahlen Anfang November sollte dann die neue, wenn auch historisch dünne republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus ihre Arbeit aufnehmen. Doch die offene Revolte des rechten Flügels machte sichtbar, wie tief die Gräben sind, die sich durch die Partei ziehen. Sie verzögerte außerdem die Vereidigung Hunderter Abgeordneter und lähmt die Arbeit der Kammer bis auf weiteres bis schließlich ein Sprecher gewählt ist.
Es werde im Plenum vielleicht eine „Schlacht“ geben, äußerte McCarthy am Dienstag vor der Abstimmung. Aber dabei gehe es um die gesamte Fraktion und das Land, „und das ist okay für mich“. Er werde immer dafür kämpfen, dass das amerikanische Volk an erster Stelle stehe, nicht die Interessen Einzelner, sagte der Fraktionsführer. (Quelle: FAZ)