Russlands Angriffskrieg schneidet den Hauptexportweg wieder ab. Die Nachbarländer helfen gerne aus – solange die eigenen Bauern nicht zu sehr leiden.

Russland sichert ukrainischen Getreideexporten über das Schwarze Meer kein freies Geleit mehr zu. Das schafft für viele Seiten Probleme – für die angegriffene Ukraine, ihre Nachbarn, für EU und Vereinte Nationen, für Empfängerländer in aller Welt. Wie sollen Weizen, Mais, Sonnenblumen, Dünger und andere Agrarprodukte aus der Ukraine auf den Weltmarkt kommen, wenn der einfache Weg über das Schwarze Meer ausfällt?

Ein großes Frachtschiff zu beladen ist unkompliziert und billig. Bei anderen Transportwegen wird es aber rasch teuer und kompliziert. Es geht selbst im zusammenwachsenden Europa um unterschiedliche Spurbreiten der Bahn, um die Tiefe von Binnenwasserstraßen, um Kapazitäten bei Häfen und Zollbehörden. Auch politischer Streit ist programmiert. Fragen und Antworten zur Zukunft ukrainischer Getreideausfuhren:

Wie viel hat die Ukraine unter Kriegsbedingungen exportiert? Solange das von UN und Türkei vermittelte Abkommen galt, wurden fast 33 Mio. t Getreide und andere Lebensmittel aus der Ukraine über das Schwarze Meer geliefert. Die Ukraine blieb demnach trotz des russischen Angriffskrieges auch größter Weizenlieferant des Welternährungsprogramms (WFP), das den ärmsten Ländern hilft.

Zugleich bauten die Ukraine und die EU-Handelswege über Flüsse, Schienen und Straßen aus. Über die sogenannten Solidaritätskorridore wurden demnach von Kriegsbeginn im Februar 2022 bis Ende Juni dieses Jahres 41 Mio. t Getreide und andere Produkte exportiert. Grob gerechnet liefen nach EU-Angaben etwa drei Fünftel der Ausfuhren über diese Korridore, zwei Fünftel über das Schwarze Meer. Vor dem Krieg wurden etwa 70 Prozent des ukrainischen Exports auf dem Seeweg abgewickelt. Das zeigt, wie schwierig die Schwarzmeerroute zu ersetzen ist. Die anderen Verkehrswege haben verschiedene Probleme. Die ukrainische Eisenbahn hat 2022 nach eigenen Angaben 28,9 Mio. t Getreide exportiert, von denen 22,55 Mio. t in die EU gingen. Behindert wird der Transport durch die unterschiedliche Spurweite zwischen europäischen 1.435 mm und den im postsowjetischen Raum üblichen 1.520 mm. Eine schnelle Abhilfe und Kapazitätsausweitung sind hier nicht in Sicht.

Auch der Straßentransport ist bereits an seiner Kapazitätsgrenze. Trotz Optimierungen an der Grenze müssen Fuhren bei der Ausreise aus der Ukraine aktuell mehrere Tage warten. Der große ukrainisch-polnische Grenzübergang Dorohusk-Jahodin in Richtung Warschau fertigt bereits jetzt nur Lastkraftwagen ab.

Die drei ukrainischen Binnenhäfen Ismajil, Reni und Ust-Dunajsk an der Donau bleiben als eine Hauptroute für Getreide vom russischen Ausstieg unberührt. In den ersten sechs Monaten 2023 wurden dort mit 14 Mio. t bereits 85 Prozent des Vorjahreswerts umgeschlagen. Seit vorigem Jahr werden die Kapazitäten ausgebaut. Doch die flachen Donaukanäle taugen nicht für größere Frachtschiffe.

Könnte der Export aus den Seehäfen um Odessa ohne Moskau weitergehen?

Darauf hofft die Ukraine. Das kriegsgeplagte Land braucht die Exporteinnahmen, um nicht noch abhängiger von ausländischen Hilfen zu werden. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Fortsetzung des Exports aus den Schwarzmeerhäfen auch ohne russische Garantien angekündigt. Zur Versicherung von Schiffen stellte das Parlament in Kiew Anfang Juli umgerechnet gut 500 Mi. € bereit. Nach Angaben in Kiew soll es Schiffseigner geben, die unter diesen Bedingungen ukrainische Häfen anlaufen wollen.

Doch es geht nicht nur um Sicherheit auf See, sondern auch in den Häfen selbst. Die russischen Drohnen- und Raketenangriffe auf die Hafeninfrastruktur von Odessa und Mykolajiw in der Nacht zum Dienstag vermittelten dabei eine deutliche Botschaft. Der Kreml warnte andere Staaten davor, einen Alleingang ohne russische Sicherheitsgarantien zu versuchen. Ein Ziel Moskaus ist, Probleme mit der Zulassung von russischem Getreide und Dünger auf den Weltmarkt zu lösen.

Gibt es Chancen auf eine politische Rettung des Abkommens?

Daran glaubt vor allem die Türkei. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zeigt sich sicher, Russlands Staatschef Wladimir Putin wolle «diese humanitäre Brücke» fortsetzen. Dazu laufen die diplomatischen Drähte heiß: Erdogan, derzeit auf einer Reise in den Golfstaaten, will nach seiner Rückkehr am 20. Juli mit dem Kremlchef telefonieren. Bis dahin würden Verhandlungen auf Ebene der Außenminister geführt. Im August stehe zudem ein persönliches Treffen mit Putin an, so Erdogan.

Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte indes am Dienstag, derzeit sei kein Gespräch von Putin und Erdogan zu einer möglichen Wiederaufnahme des Getreide-Abkommens geplant.

Die Türkei, Mitvermittlerin des Abkommens, steht laut UN an dritter Stelle der Empfänger der im Rahmen des Abkommens verschifften Güter.

Überschwemmt ukrainisches Getreide Polen und andere Transitländer?

Polens Landwirtschaftsminister Robert Telus hat für Mittwoch (19. Juli) seine Kollegen aus Bulgarien, Rumänien, der Slowakei, Ungarn, Moldau und der Ukraine nach Warschau eingeladen. Dabei soll es um die Lage auf den Agrarmärkten gehen und um mögliche Maßnahmen, faire Wettbewerbsbedingungen für Landwirte aus den EU-Mitgliedstaaten und den Kandidatenländern zu gewährleisten.

Im Frühjahr hatten Bauern vor allem in Polen protestiert, weil durch das ukrainische Getreide die Preise sanken. Deshalb beschränkte Brüssel Agrarimporte aus der Ukraine für die EU-Nachbarn bis mindestens 15. September – ausgenommen den Transit. «Es wird sicher jetzt noch mehr Druck geben, dass der Weg auf den polnischen und europäischen Markt weiter geöffnet wird. Aber das Getreide muss eben auch in den Ländern ankommen, wo es benötigt wird», sagte Wieslaw Gryn von der Organisation „Betrogenes Dorf“. Erneute Bauernproteste im Herbst seien deshalb nicht ausgeschlossen. (Quelle: dpa)